In einer Zeit voller Open-World-Titeln mit zahlreichen Nebenquests und Sammelobjekten stechen kurze, gute Spiele hervor. Draugen ist so ein Spiel. Das „Modern Adventure“, wie es Director und Autor Ragnar Tørnquist nennt, erschien 2019 beim Studio Red Threat Entertainment und versucht nicht Spieler mit einer prallgefüllten Welt und ständig etwas zu tun zu beeindrucken. Vielmehr erzählt es eine Geschichte.

Schon der Titelbildschirm macht klar: Bei der Inszenierung wurden keine halben Sachen gemacht. Eine Frauenstimme singt ein unfassbar episches, norwegisches Volkslied. Dann erscheint das Logo vor einem See an einem Fjord. Wow. Was für ein imposanter Einstieg.

Da das Spiel mit etwa vier Stunden Spielzeit recht kurz ist und die Hauptaufgabe darin besteht herauszufinden was eigentlich passiert ist, versuche ich die Story so wenig wie möglich vorwegzunehmen. Grob zusammengefasst passiert Folgendes:

Handlung

1923 rudert Edward Harten mit seiner kessen Gehilfin Alice nach Gravvik, um seine verschollene Schwester Elizabeth zu finden. Gravvik ist eine Bergarbeitersiedlung irgendwo am norwegischen Fjord, doch an Idylle kaum zu überbieten. Die beiden finden allerdings bei ihrer Ankunft niemanden vor. Das Dorf wirkt wie ausgestorben. Nachdem Edward und Alice sich bei ihren Gastgebern einquartiert haben beschließen sie, neben ihrer Suche nach Betty (so nennt Edward seine Schwester), auch noch herauszufinden, was im Ort passiert ist.

Gameplay

Draugen ist ein klassischer Walkingsimulator. Das heißt abgesehen von seiner Geschichte gibt es in dieser Welt recht wenig zu erleben. Erkunden ist nur auf vom Spiel vorgesehenen Pfaden möglich und neben Dialoge führen und mit der Story verknüpfte Hinweise sammeln hat man hier nichts zu tun. Aber mehr, als eine spannende Geschichte erzählen, will das Spiel auch nicht tun. Draugen fühlt sich deshalb mehr wie ein interaktiver Film als wie ein Videospiel an. Und diesen Anspruch hat Red Threat Entertainment sehr ernstgenommen.

Inszenierung

Außerdem fühlt sich die Welt wirklich echt und gut an. Besonders die Dynamik zwischen Edward und Alice ist hervorragend in Szene gesetzt und erfüllt durch die erstaunlich gute Gestaltung der Charaktere die Geschichte mit Leben. Nicht nur die Dialoge, bis auf das erste Gespräch der beiden im Ruderboot, fühlen sich unaufgesetzt und echt an. Ich hatte zum Beispiel nie wirklich das Gefühl, dass die beiden sich nur unterhalten, um mir als Spieler eine gewisse Exposition zu schaffen, also zu erklären, was gerade passiert oder bereits geschehen ist. Viel mehr hatte ich das Gefühl, dass sie sich unterhalten des Unterhaltens wegen. Sie führen Konversationen der Konversationen wegen. Das verleiht den Interaktionen sehr viel Tiefe.

Auch ihre Verhaltensweisen, Animationen und Reaktionen auf die Welt wirken einfach menschlich und echt, was vor allem an der Leistung der Synchronsprecher liegt. Wenn Alice beispielsweise Mitgefühl mit den verschwundenen Menschen hat, dann zeigt sich das in ihrer Stimme. Auch die Angst und die Sorge um Edwards Schwester ist von unserem Protagonisten lebensecht dargestellt. Einzig, dass Alice nicht immer lippensynchron spricht, hat mich etwas aus der Immersion gerissen, das fällt aber im Gesamteindruck nicht zu sehr ins Gewicht.

Meckern muss sein

Ich habe das Spiel jetzt so sehr gelobt, dass ihr denken müsst, es ist das beste Spiel aller Zeiten und für nur 30 € (auf Steam) ein absolutes Schnäppchen. Das wäre natürlich super, ist aber leider nicht ganz wahr. Draugen hat eine großartige Geschichte, ja, originell ist sie aber nicht wirklich. Die Twists gegen Mitte und Ende der Geschichte sind zwar schön in Szene gesetzt, aber leider auch fast vorhersehbar, wenn man ein bisschen auf die Details achtet. Und vor allem das fehlende Gameplay nebst dem üblichen Walkingsimulator-Gedöns dürfte dem ein oder anderen sauer aufstoßen. Gerade weil die Gegend um das Dorf doch sehr schön ist, hätte ich mir eine etwas größere Welt gewünscht, die man zumindest teilweise frei erkunden kann. Die vier bis sechs Stunden Gameplay fangen diese Story zwar sehr gut ein, aber eine längere Geschichte hätte dem Spiel sicherlich nicht geschadet.

Fazit

Draugen ist alles in allem ein sehr gutes Spiel. Es versucht eine kurze, aber packende Geschichte zu erzählen und schafft das auch sehr gut. Aber mehr ist es leider einfach nicht. Gerade in Sachen Gameplay ist wenig los in Gravvik, obwohl da viel gegangen wäre, hätte man die Welt etwas größer gemacht. Wer eine schöne, gut ausgeleuchtete Geschichte mit gut geschriebenen Charakteren und toller Musik sucht, kommt hier voll auf seine Kosten. Alle, für die ein einfacher Filmabend zu wenig ist für die 30 Euro Kaufpreis, sollten aber lieber die Finger von Draugen lassen. Mir hat es gut gefallen und ich empfehle es auf jeden Fall weiter, ich verstehe aber, wenn nicht jeder etwas damit anfangen kann.